Reflexionen f�r eine Post-Corona Zeit
Danachgedanken

Ein Virus f�hrt uns vor Augen, wie global vernetzt und zugleich fragil unser �ffentliches Leben ist. Was bedeutet die Pandemie f�r jede*n Einzelne*n von uns und was f�r die Gesellschaft?

Im Rahmen des Projekts sind Intellektuelle und K�nstler*innen aus der ganzen Welt dazu eingeladen, �ber die aktuellen Auswirkungen der Pandemie in ihren L�ndern sowie �ber m�gliche Folgen nachzudenken und zu �berlegen, welche Faktoren Hoffnung f�r die Zukunft geben k�nnen.

Illustration eines Kopfes bestehend aus bunten Gedanken, z. B. Solidarity.

� Kitty Kahane

� Alfredo Cunha

Lissabon
L�dia Jorge, Autorin

Der Dichter Robert Musil sagte, dass jeden Tag ein neues Zeitalter anbricht. Das stimmt, aber es gibt Tage, an denen das neue Zeitalter in gr��eren Gro�buchstaben geschrieben wird, und das ist jetzt der Fall. Wir wohnen den Geburtswehen einer neuen Zeit bei.

� Tiago Sant�Ana

Salvador
Tiago Sant�Ana, K�nstler

Die Mittel, die zum Schutz der �rmsten zur Verf�gung stehen, sind begrenzt. Die Spendenkampagnen und sozialen Hilfsaktionen werden nicht ausreichen, da wir kurz- und auch langfristig eine effektivere und tiefgreifendere Sozialpolitik brauchen. In Brasilien ist eine rechtsextreme Regierung an der Macht. Daher glaube ich, dass Investitionen den sozialen Bereich nicht so bald erreichen werden.

� Sunjung Kim

Seoul
Sunjung Kim, Kuratorin

In dieser langen Phase der sozialen Distanzierung, der Selbst-Quarant�ne und des Zuhausebleibens wird sich unsere Einstellung zum Leben �ndern. Auch die Vorstellungen der Menschen von einem idealen Tagesablauf werden davon nicht unber�hrt bleiben.

� Romila Thapar

Danachgedanken
Reflexionen f�r eine Post-Corona Zeit

War die Globalisierung nicht darauf ausgerichtet, Lebensstandards zu verbessern, Armut zu beseitigen, Gesundheitsversorgung und Bildung f�r alle zu gew�hrleisten und Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit sicherzustellen? K�nnen wir auch k�nftig an der Globalisierung festhalten? Unsere Hoffnungen zerfallen jeden Tag aufs Neue zu Asche, wir bereiten uns auf die Zerst�rung der Welt vor.

� Maria Teresa Slanzi

Buenos Aires
Mart�n Kohan, Autor

Der Spielraum der Ungewissheit ist exponentiell gewachsen, ebenso wie die Verbreitung des Virus; wir wissen nicht, was geschehen wird, nicht einmal in allern�chster Zeit. Und ich glaube, dass dieses Nichtwissen entscheidend ist f�r diesen Schwebezustand. Was wir nicht wissen, �berwiegt. Die tiefe Notwendigkeit nach Gewissheiten, selbst den bescheidensten, macht uns ein ums andere Mal deutlich: Wir stecken fest in dem, was wir nicht wissen.

� Daniel Peace

Athen
Detach, Kuratoren

Die Form der Unterhaltung, die uns von Covid-19 �ber Zoom/ Skype/ Houseparty oder andere Videoplattformen aufgezwungen wird, entwickelt sich zu unserem neuen multiplen Selfie. Zu einer neuen vielk�pfigen Hydra in Echtzeit. Vorhang auf f�r den neuen popul�ren Masseneindruck und -konsum, der �ber unsere Bildschirme l�uft.

� Sampson Wong

Hongkong
Sampson Wong, K�nstler

Die F�hrung des autorit�ren chinesischen Regimes, das im vergangenen Jahrzehnt einen unaufhaltsamen Machtzuwachs erlebte, wird nun mit umfassenden Herausforderung konfrontiert. Die Menschen in aller Welt werden nicht vergessen, welchen bedeutsamen Anteil die Vertuschungs- und Zensurversuche der chinesischen Regierung daran hatten.

� Markus Stein

Wellington
Paul Diamond, Autor

Werden die Menschen in Neuseeland, nach einem Monat der erzwungenen Erholung vom hemmungslosen Konsum, auch weiterhin die Dinge tun, die sie taten, als sie nicht mit Einkaufen besch�ftigt waren? In einem weiteren Sinne wird mit der Pandemie gezwungenerma�en eine Neuordnung unserer gesamten Wirtschaftsgrundlage verbunden sein.

� Koenbroos

Br�ssel
Rachida Lamrabet, Autorin

Ich sehe Menschen, die laut tr�umen und denken. Ich bin von unserer F�higkeit �berzeugt, uns unsere Welt neu zu denken, das Dogma der �Alternativlosigkeit� zur�ckzuweisen. Wir k�nnten eine Zukunft gestalten, die besser ist als die Welt, in der wir leben.

� Ani Qananyan und Ed Tadevossian

Jerewan
Ani Qananyan und Ed Tadevossian, K�nstler

Wie jede tiefe Wunde wird auch diese Pandemie eine Narbe auf der Oberfl�che der menschlichen Evolution hinterlassen, aber in zwei Generationen wird man M�rchen dar�ber erz�hlen. Der menschliche K�rper wird Immunit�t entwickeln, Virolog*innen werden eine Wunderpille erfinden.

� Dossym Satpayev

Almaty
Dossym Satpayev, Politologe

Die aktuelle Krisensituation ist etwas Neues, mit dem wir uns besch�ftigen m�ssen, eine Fallstudie f�r unser Krisenmanagement � und f�r die menschliche Psyche in Ausnahmesituationen, da viele ihre gewohnte Komfortzone verlassen m�ssen. In Kasachstan stellt die Corona-Krise Staat und Gesellschaft vor neue Herausforderungen; sie ist so etwas wie ein Indikator, der auf viele versteckt bestehende Probleme hinweist.

� G�nesis Alay�n

Caracas
G�nesis Alay�n, Bildende K�nstlerin

Ich kann die Situation mit einem endlosen Schauspiel vergleichen, in dem wir unser aller Wohlbefinden auff�hren. Schon vor meiner Geburt haben sich alle vorgespielt: �Es geht schon alles vorbei�. Aber viele Schauspieler*innen sind seither von der B�hne verschwunden, und andere waren gezwungen, das Theater zu verlassen. Diese Pandemie hat die B�hne mit Ungewissheit durchdrungen.

� Foto-Credit

Skopje
Robert Alagjozovski, Schriftsteller

Trotz der Dystopie hat die Geschichte der Menschheit nach wie vor ein Happy End. Wir haben bis heute �berlebt und gezeigt, dass wir bereit sind, uns zu �ndern. Wir sind rationale Wesen, die �ber die F�higkeit und die Methoden verf�gen, aus unseren Fehlern zu lernen und unser Verhalten und unsere Gesellschaft zu verbessern.

� Yudhanjaya Wijeratne

Colombo
Yudhanjaya Wijeratne, Autor

Wenn Sprache als Mittel zur Bezeichnung von Begriffen und ihrer Beziehungen untereinander dient, ist das Coronavirus zum Begriff f�r eine ungewisse Zukunft geworden, in der die Rezession w�tet und bisher als selbstverst�ndlich erachtete Freiheiten nichts mehr gelten, in einer Welt, die sich von den Rechten des Individuums abwendet und die Rechte der Gemeinschaft �ber alles stellt.

� World Wide Web Foundation

Nairobi
Nanjira Sambuli, Politologin

Bisher wurden zahlreiche Probleme unseres Landes, die oftmals auf einen ausschlie�enden Politik- und Regierungsstil zur�ckzuf�hren waren, unter den Teppich gekehrt. Dieser Teppich wurde nun aufgedeckt, und wir m�ssen den darunterliegenden Schmutz beseitigen. Die derzeitige Regierung muss ihrer Verantwortung endlich gerecht werden.

� Anne Weber

Paris
Anne Weber, Schriftstellerin und �bersetzerin

Der franz�sische Pr�sident Macron hat von Krieg gesprochen, von einem Krieg, den ich, mit Seife und Desinfektionsmittel bewaffnet, haupts�chlich f�hren soll, indem ich mich zu Hause einigele. Dort wartet ein anderer Krieg auf mich, der Krieg gegen mich selbst und meine �ngste, gegen die kein Kraut und keine Seife gewachsen sind.

� Georg See�len

M�nchen
Georg See�len, Journalist

Die Krise kann nicht ewig dauern, sonst w�re sie keine Krise, sondern das Ende. Die Krise ist eine Unterbrechung, ob sie auch ein Bruch ist, wird sich herausstellen. In ihr arbeiten die verschiedensten Kr�fte; sie ist eine Periode, in der einerseits einige M�glichkeiten des Handelns eingeschr�nkt sind oder sogar vollkommen unterbunden, andere aber erweitert.

� Dan Perjovschi

Bukarest
Dan Perjovschi, Zeichner

Frei, zu denken. Unfrei, sich zu bewegen. Es ist eine Art Verlangsamungs- und Stilllegungs-Weckruf. Wir werden nie und nimmer freiwillig innehalten. Wir halten nur zwangsweise inne. Globale Quarant�ne? Wer h�tte das gedacht? Grenzen innerhalb Europas dicht? Europ�ische B�rger*innen, denen die Durchfahrt auf dem Weg in ihr Heimatland verboten ist? Auweia!

� Urvashi Butalia

Delhi
Urvashi Butalia, Autorin und Verlegerin

W�hrend ich diese Zeilen schreibe, dr�ngen sich Hunderttausende von Besch�ftigten des informellen Sektors an den Grenzen von Delhi, um in ihre D�rfer zur�ckzukehren. Sie haben kein Essen, kein Wasser und sind der Gefahr schutzlos ausgeliefert. Die Ausgangssperre ist ein Luxus, den sich Reiche leisten k�nnen. Die Armen stehen vor dem Nichts.

� Matti Bunzl

Wien
Matti Bunzl, Museumsdirektor

Sorgen macht mir, einmal mehr, dass die EU nicht ann�hernd die Rolle spielt, die sie sollte. Corona ist ja der Inbegriff einer Krise, die vor Grenzen nicht Halt macht. Und da brauchen wir geeinte, koordinierte Strategien. Die Epidemie darf auf keinen Fall zu einer Wiederauferstehung der Nationalstaatlichkeit f�hren.

� Michael Zichy

Salzburg
Michael Zichy, Philosoph

Die Corona-Krise hat das global vernetzte Wirtschaftssystem auf Pause und dadurch seine Verletzlichkeit blo�gestellt, aber sie macht auch deutlich, dass Staaten und Gesellschaften mit entschlossenem gemeinsamen Handeln gegensteuern k�nnen. Wie jede einschneidende Erfahrung wird sie daf�r sorgen, dass es nachher nicht mehr so weitergeht wie vorher.

� Oleg Nikiforov

Moskau
Oleg Nikiforov, Verleger

Meine Hoffnung setze ich auf eine neue Einigkeit unter den Menschen, mit Verachtung f�r unsere �vergangene� babylonische Zerstreuung und Spott f�r jene formale Unterteilung in Rassen, Klassen, Nationen und historische Umst�nde. Haben doch auch f�r unseren Gegner, jetzt COVID-19 genannt, diese Grenzen keinerlei Bedeutung.

Quadratisches Bild von Eva Illouz vor br�unlichem Hintergrund; sie hat schwarze, kurze Haare und h�lt ein Glas in der linken Hand

Geisler-Fotopress � picture alliance

Jerusalem, Paris
Eva Illouz, Soziologieprofessorin

Die Coronavirus-Generation, die hautnah erlebt wie ein Zusammenbruch der Welt aussehen k�nnte, wird wissen, dass sie die Welt besser beobachten muss. Wenn sie das nicht tut, wird kein �ffentliches oder privates Interesse mehr existieren, das zu verteidigen es g�lte.

Foto durch ein offenes Fenster; drau�en sind der dunkle Abendhimmel und Baumspitzen zu erkennen

� Susanne Kennedy

Berlin
Susanne Kennedy, Theaterregisseurin

Wir alle w�nschen uns schnelle Antworten. Wir wollen genau wissen, was passiert. Wie wird die Welt nach dieser Zeit aussehen? Mit welchen Folgen werden wir uns auseinandersetzen m�ssen? Welche Art von Utopie oder Dystopie erwartet uns? Es gibt jedoch noch keine Antworten. Alles braucht seine Zeit. M�glicherweise eine lange, sehr lange Zeit.

Danachgedanken

Zur �bersicht des Projekts � lesen Sie alle Beitr�ge auf Deutsch und auf Englisch.

Reflexionen f�r eine Post-Corona Zeit Danachgedanken

Lissabon L�dia Jorge, Autorin

Salvador Tiago Sant�Ana, K�nstler

Seoul Sunjung Kim, Kuratorin

Danachgedanken Reflexionen f�r eine Post-Corona Zeit

Buenos Aires Mart�n Kohan, Autor

Athen Detach, Kuratoren

Hongkong Sampson Wong, K�nstler

Wellington Paul Diamond, Autor

Br�ssel Rachida Lamrabet, Autorin

Jerewan Ani Qananyan und Ed Tadevossian, K�nstler

Almaty Dossym Satpayev, Politologe

Caracas G�nesis Alay�n, Bildende K�nstlerin

Skopje Robert Alagjozovski, Schriftsteller

Colombo Yudhanjaya Wijeratne, Autor

Nairobi Nanjira Sambuli, Politologin

Paris Anne Weber, Schriftstellerin und �bersetzerin

M�nchen Georg See�len, Journalist

Bukarest Dan Perjovschi, Zeichner

Delhi Urvashi Butalia, Autorin und Verlegerin

Wien Matti Bunzl, Museumsdirektor

Salzburg Michael Zichy, Philosoph

Moskau Oleg Nikiforov, Verleger

Jerusalem, Paris Eva Illouz, Soziologieprofessorin

Berlin Susanne Kennedy, Theaterregisseurin